
Herr Stadler, Zertifizierungen nehmen in der Lebensmittelbranche seit Jahren an Bedeutung zu. Warum sind sie heute so wichtig – und für Unternehmen wie Paul M. Müller unverzichtbar?
Zertifizierungen sind heute vor allem deshalb unverzichtbar, weil sie eine klare Kundenanforderung sind. Der Einzelhandel hat diese Standards entwickelt, um über die gesetzlichen Vorgaben hinaus zusätzliche Kontrollen einzuführen und die Umsetzung unabhängig prüfen zu lassen. Gerade im Lebensmittelbereich gibt es zahlreiche kritische Kontrollpunkte – von der Herkunft über die Verarbeitung bis hin zur Ankunft der Ware in der EU. Den Kunden ist es deshalb enorm wichtig, dass in der gesamten Lieferkette nachweislich hohe Standards eingehalten werden.
Ist die Zertifizierung eher Pflicht oder Kür?
Ganz klar Pflicht. Kaum ein Broker kann heute ohne Zertifizierung am Markt bestehen. Selbst bekannte Markenhersteller lassen sich zertifizieren, weil der Einzelhandel das erwartet – unabhängig vom Namen oder der Größenordnung. Zertifizierung ist die absolute Mindestanforderung.
Viele Unternehmen tun sich dennoch schwer mit dem Einstieg. Welche Fehler sehen Sie dabei am häufigsten?
Der häufigste Fehler ist ein zu kurzer Vorbereitungszeitraum. Viele beschäftigen sich erst spät mit dem Thema oder verschieben Anforderungen immer wieder. Bei Paul M. Müller war das anders: Dort hat man früh begonnen, Beratung geholt und sich über ein Jahr lang gezielt auf die erste Zertifizierung vorbereitet. Das sorgt für Stabilität und Nachhaltigkeit im System.
Wann ist ein Unternehmen bereit für eine Zertifizierung?
Das hängt stark von der Ausgangssituation ab. Wenn ein Unternehmen bereits ein funktionierendes QM-System hat, reichen drei bis sechs Monate aus. Andere müssen erst Mitarbeitende finden, Prozesse definieren oder Spezifikationen aktualisieren. Grundsätzlich gilt: Je früher man beginnt, desto entspannter und nachhaltiger wird der Zertifizierungsprozess.
Welche Rolle spielen gute Mitarbeitende im Qualitätsmanagement?
Eine zentrale QM und QS leben davon, dass Menschen das Thema wirklich mit Leidenschaft betreiben. Es ist ein Bereich, der ständige Fortbildung erfordert – es kommen ständig neue Themen wie Nachhaltigkeit, Lieferketten oder internationale Gesetzesänderungen hinzu. Und man trägt viel Verantwortung: Qualitätsmanagement verdient zwar kein Geld, aber ohne Zertifizierung steht im schlimmsten Fall die Existenz eines Unternehmens auf dem Spiel.
Wie haben sich die Anforderungen in den letzten Jahren verändert?
Sie sind deutlich komplexer geworden. Es gibt mehr Fragen, mehr Nachweise, mehr Dokumentationspflichten. Jedes Jahr kommt etwas hinzu – und selten fällt etwas weg. Das entspricht zwar dem Gedanken der kontinuierlichen Verbesserung, führt aber auch dazu, dass Unternehmen unter Druck geraten, ständig „noch mehr“ vorweisen zu müssen.
Gibt es typische Missverständnisse rund um QM und Lebensmittelsicherheit?
Ja, zwei besonders große. Erstens: dass QM die Aufgabe einer einzelnen Person sei. Das stimmt nicht. Ein gutes QM-System funktioniert nur, wenn alle Abteilungen eingebunden sind. Zweitens: dass QM nur Geld kostet und wenig bringt. Dabei sichert es den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Ohne stabile Prozesse gibt es keine stabile Zukunft.
Woran erkennen Sie, ob ein Betrieb qualitätsstark ist?
Sehr schnell an den Unterlagen. Wir sehen zuerst Dokumente – und deren Qualität verrät viel. Sind sie aktuell, vollständig und konsistent? Oder wirken sie veraltet, unsauber und widersprüchlich? Anhand dieser ersten Eindrücke kann man sehr gut einschätzen, wie professionell ein Unternehmen arbeitet.
Sie sprechen vom „pragmatischen Qualitätsmanagement“. Was bedeutet das genau?
Pragmatisches QM heißt: Anforderungen erfüllen, aber nicht unnötig verkomplizieren. Nicht jede Maßnahme muss zur wissenschaftlichen Abhandlung oder Doktorarbeit werden. Ein gutes System wächst über die Jahre – es beginnt pragmatisch und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Als Beratung bringen wir erprobte, verständliche Lösungen mit, die sofort funktionieren. Das spart Zeit und Nerven und sorgt dafür, dass die Vorgaben auch im Alltag umgesetzt werden können.
Welche Rolle spielen Ihre Erfahrung und Ihr Blick in viele unterschiedliche Audits?
Eine große. Durch die Vielzahl an Audits, die wir jährlich begleiten, sehen wir Trends, Schwerpunkte und unterschiedliche Auslegungen. Unternehmen haben meist ein Audit pro Jahr – wir sehen Dutzende. Diese Erfahrung geben wir direkt an unsere Kunden weiter, auch an Paul M. Müller.
Viele Mitarbeitende sind vor Audits nervös. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Unternehmen und Auditor beschreiben?
Im Idealfall partnerschaftlich. Ein Audit ist kein Gegeneinander, sondern ein strukturiertes Verfahren. Meist läuft es gut bis sehr gut, fast immer gibt es kleine Punkte zur Verbesserung. Nur in seltenen Fällen wird eine Zertifizierung verweigert, etwa wenn ein schwerwiegender Fehler auftritt. Insgesamt ist die Atmosphäre aber konstruktiv – selbst bei unangekündigten Audits.
Welche Trends werden das Qualitätsmanagement in den nächsten Jahren prägen?
Vor allem gesetzliche Vorgaben, Nachhaltigkeitsthemen und Kundenanforderungen. Dazu kommen zwei große Treiber: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Beides wird genutzt, um Daten schneller auszuwerten und effizienter zu arbeiten.
Wie realistisch ist der Einsatz von KI im Qualitätsmanagement heute?
Als Unterstützung sehr realistisch – als Entscheiderin nicht. KI kann große Datenmengen sortieren, Analysen auswerten oder Reklamationen clustern. Aber die Verantwortung liegt immer beim Unternehmen. Für rechtssichere Entscheidungen braucht es weiterhin Fachwissen und Menschen, die ihren Namen daruntersetzen.
Was macht die Zusammenarbeit mit Paul M. Müller für Sie besonders?
Das Zusammenspiel aus Professionalität, Offenheit und echter Zusammenarbeit. Die Geschäftsleitung investiert in Mitarbeitende und Prozesse, ist bei Audits präsent und steht hinter dem Thema Qualitätsmanagement. Das macht die Kooperation seit Jahren sehr angenehm – und sorgt dafür, dass Audits verlässlich stressfrei und sehr gut bestanden werden.
Zur Person:
Florian Stadler ist Qualitätsmanagementberater mit Schwerpunkt Lebensmittelsicherheit und IFS Zertifizierungen. Er studierte Lebensmitteltechnologie und arbeitete viele Jahre im Beratungsunternehmen seiner Mutter, Christa Stadler, die 2003 den Grundstein für die heutige Spezialisierung legte. Seit über fünf Jahren ist er freiberuflicher QM-Berater und begleitet europaweit Unternehmen bei der Einführung, Weiterentwicklung und Auditierung von Qualitätsmanagementsystemen. Zu seinen Kerngebieten zählen: IFS, Lebensmittelsicherheit & Auditvorbereitung, Risiko- und Krisenmanagement (u. a. Rückrufe), Lieferantenzulassung & internationale Anforderungen, Aufbau pragmatischer QM-Systeme, die im Alltag funktionieren.